Difference between revisions of "Quaestio-Modell"
(von Norbert Fries Online-Lexikon Linguistik, mit Zustimmung des Autors) |
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Latest revision as of 12:13, 20 March 2008
Das Quaestio-Modell ist ein für längere und komplexe Texte bzw. mündliche Äußerungen geeignetes Analyse- und Beschreibungsinstrument für inhaltliche Beziehungen zwischen Text- bzw. Äußerungssegmenten.
Kommentar
Das wesentlich von C. V. Stutterheim entwickelte Quaestio-Modell folgt keinem strikten Formalismus, sondern modelliert auf der Basis sprachpsychologischer und textlinguistischer Erkenntnisse die kommunikative Aufgabe, die Quaestio eines Textes bzw. einer Äußerung gemäß der Informationsauswahl und -organisation:
Unter Bezugnahme auf die antike Rhetorik wird die Quaestio als die Frage konzipiert, die in einem Äußerungsereignis (Text, Rede) beantwortet wird (bzw. aus der Perspektive der Sprachproduktion zu beantworten ist).
Als leitende Frage bewirkt die Quaestio (a) die Festlegung eines Sachverhalts als Thema und damit verbunden die Selektion eines bestimmten Ausschnittes des beim Sprecher vorhandenen Wissens, (b) die Festlegung einer Perspektive und damit die spezifische Verankerung und Strukturierung des vorhandenen Wissens, (c) die hierarchische Organisation von Informationseinheiten in Hauptstrukturen, welche auf die Quaestio antworten, und in nicht quaestio-bezogene Nebenstrukturen und (d) die sequentielle Organisation der Informationseinheiten, d. h. ihre Linearisierung.
Durch die referentielle Besetzung (referential filling) sog. Konzeptdomänen wird der semantisch-konzeptuelle Rahmen von Äußerungssequenzen bestimmt; innerhalb der postulierten konzeptuellen Domänen Personen/Objekte, Ereignis-Prädikationen, Orte, Zeitspannen und Modalwerte (wie Faktizität, Kontrafaktizität, Fiktionalität) werden verschiedene Muster sog. >Referentieller Bewegung (referential movement) unterschieden, welche unterschiedlichen Einfluss auf die Kohärenz besitzen: Textgegenstände können neu eingeführt, wiederaufgenommen, erweitert, eingegrenzt und verschoben sein.
Das Quaestio-Modell ist flexibel in seiner Anwendbarkeit, da es sich nicht auf bestimmte sprachliche oder grammatische Phänomenbereiche zur Erklärung der inhaltlichen Beziehungen zwischen Äußerungs- und Textsegmenten beschränkt; zur Anwendung im Bereich der Sprachproduktion vgl. Klein & Stutterheim (2002), Grommes (2005), im Bereich elektronischer Hypertexte Huber (2002).
Herkunft
lat. quaestio 'Frage'
Link
Quaestio-Modell in Norbert Fries, Online Lexikon Linguistik
Literatur
B. Aahrenholz, Modality and Referential Movement in Instructional Discourse: Comparing the Production of Italian Learners of German with Native German and Native Italian Production. Studies in Second Language Acquisition 2000/22, 337-368.
C. Bergt, Die sprachliche Realisierung von Personenreferenzen unter dem Einfluss von Textplanungsprozessen. Diss. Univ. Graz 2000.
P. Grommes, Kohärenz im Gespräch. Diss. HUB 2005.
O. Huber, Hyper-Text-Linguistik. (TAH: Ein Textlinguistisches Analysemodell für Hypertexte; Theoretisch und praktisch exemplifiziert am Problemfeld der typisierten Links von Hypertexten im World Wide Web). Diss. Univ. München 2002.
W. Klein & C. v. Stutterheim, Quaestio und referentielle Bewegung in Erzählungen. LBer 1987/109, 163-183.
– Dies., Textstruktur und referentielle Bewegung. LiLi 1992/86, 67-92.
– Dies., Quaestio and L-perspectivation. In: C. F. Graumann & W. Kallmeyer (Hg.), Perspective and Perspectivation in Discourse. Amsterdam 2002, 59-88.
U. Kohlmann, Objektreferenz im Kontext: Eine Untersuchung zum Zusammenhang von kommunikativer Aufgabe, Textstruktur und Objektreferenzen. Frankfurt/Main 1997.
C. v. Stutterheim, Einige Prinzipien des Textaufbaus. Empirische Untersuchungen zur Produktion mündlicher Texte. Tübingen 1997.