Antikausativ

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Beim Antikausativ wird nicht nur das Agens, sondern auch die Bedeutung des Verursachers völlig eliminiert.

Beispiel: Transitiv: Die Oma öffnet die Tür. --> Antikausativ: Die Tür öffnet sich.

Einleitung

Das Antikausativ gehört zu den Detransitivierungen. Das heißt die Valenz des Verbs wird verringert, das Agens getilgt und das Patiens wird zum Subjekt. Hinzu kommt beim Antikausativ noch, dass das Agens in der Bedeutung keine Rolle mehr spielt.

Der Begriff Antikausativ wurde erstmals eingeführt von Nedjalkov und Sil’nickij im Jahre 1969. Ein anderer Begriff, der dieses Phänomen beschreibt, war in der Vergangenheit zum Beispiel Inchoativ. Das heißt, den Beginn einer Handlung ausdrückend. Auch Fientiv galt als Bezeichnung dieses Phänomens. Fientiv meint aber nicht den Beginn, sondern den Übergang in eine Handlung. Teilweise wurden auch Begriffe wie Middle, Middle Passive oder Pseudopassiv angewandt. Letzterer ist jedoch nicht angebracht, weil Passiv und Antikausativ viel gemeinsam haben (siehe Antikausativ vs. Passiv).

Antikausativ gibt es nicht im Lateinischen und auch nicht im Englischen. Antikausativ wird nicht aus Zustands-Äußerungen (wie etwas ist oder wird) abgeleitet, sondern aus transitiven Äußerungen. Typisch in den Sprachen der Welt ist die Markiertheit der nicht-kausativen Verbform. Man spricht in diesem Fall von einer Antikausativ/Nicht-Antikausativ-Relation. Wenn aber die intransitive Verbform markiert, ist handelt es sich um eine eher untypische Transitiv-Antikausativ-Relation.

Beschränkungen im Antikausativ

Die „anticausative-marking morphemes“, also die Morpheme, die Antikausativ markieren, haben nicht nur diese eine Funktion. Sie können auch andere Phänomene darstellen und sind somit keine reinen Antikausativ-Morpheme. (Eine Ausnahme bildet das Gotische. Siehe unten.) Eine Lösung dieses Problems schlägt Babby (1983) vor: Die einzige syntaktische Funktion dieser Morpheme ist es, reduzierte Valenz anzuzeigen.

Eine weitere Beschränkung ist, dass es Antikausative nicht für alle Verben gibt. Außerdem ist ein Element nach Anwendung des Antikausativs semantisch verändert. Antikausativ-Äußerungen sind immer derivativ, das heißt durch Ableitung entstanden, Flexion ist nicht möglich. Zudem kann Antikausativ nur aus transitiven Formen gebildet werden.

Eine Agens-Phrase im Antikausativ-Satz ist unzulässig: *Die Tür ist durch dich geschlossen. Ebenso sind Aktions-Verben, die bestimmte Instrumente oder Methoden enthalten, vom Antikausativ ausgeschlossen:

Der Hund beißt das Mädchen. --> *Das Mädchen beißt (sich).
Ayse schneidet das Papier. --> *Das Papier schneidet (sich).

Die mit * versehenen Sätze sind zwar inhaltlich und grammatikalisch korrekt, aber nur wenn „das Mädchen“ und „das Papier“ die Agensrolle übernehmen. In dem Fall handelt es sich aber nicht mehr um Antikausativ. Handelt es sich um eine unspezifische Zustandsänderung, dann ist eine intransitive Verbform und damit Antikausativ möglich (spalten – sich spalten; versenken – versinken). Das Verb beißen ist zu spezifisch. Wie oben im Beispiel gesehen, ist hier keine intransitive Verbform möglich. Unklar ist allerdings, welche Verben nun spezifische, bzw. unspezifische Zustandsänderung zur Folge haben.

Antikausativ in den Sprachen den Welt

Es gibt drei Haupttypen der Antikausativ-Markierung: Antikausativ als o reflexiv pronominales Klitika (Deutsch, Niederländisch, romanische Sprachen) o Postfix (Affix in der letzten Position eines Wortes) (Ostslawische, Baltische, Skandinavische Sprachen) o typischste Form: Stammaffix (Finnisch-ugrische Sprachen, Türkische Sprachen)

Im Gotischen gibt es nicht viele Antikausative. Dafür markiert das Morphem -na-, das Transitiv in Antikausativ verwandelt, keine anderen Phänomene, wie es in anderen Sprachen der Fall ist, sondern ausschließlich Antikausativ.

bi-auk-n-an --> bi-aukan
“ansteigen(intr.)“ --> “steigern(tr.)”
us-gut-n-an --> giutan
“verschüttet“/“vergossen“ --> “gießen”
us-luk-n-an --> us-lūkan
“öffnen(intr.)” --> “öffnen(tr.)”
and-bund-n-an --> and-bindan
“gelöst/entbunden sein“ --> “entbinden/sich lösen”


Das letzte Beispiel andbundnan ist nur eine Antikausativform mit dem Präfix and- für “lösen“ Die Antikausativform *bundnan von bindan („binden“) gibt es nicht, weil die spezielle Bedeutung dieser Form einen Agens voraussetzt.

Antikausativ im Vergleich zu anderen Phänomenen

Antikausativ vs. Kausativ

Die Relation zwischen Antikausativ und Transitiv ist dieselbe wie zwischen Kausativ und Intransitiv. Nedjalkov (1969) hat festgestellt, dass die antikausative Markiertheit zunimmt, die kausative Markiertheit aber abnimmt, wenn die „outside force“ steigt. Unter „outside force“ versteht Nedjalkov die Kraft, die von außen nötig ist, um ein Handlung auszuführen. Die Kraft von außen ist bei beißen wesentlich höher als bei lachen. Die folgende Tabelle soll die Unterschiede zwischen Antikausativ und Kausativ verdeutlichen.

Antikausativ Kausativ
kein grammatisches Objekt vorhanden
Objekt/Patiens im Transitiv wird zum grammatischen Subjekt Subjekt im Intransitiv wird zum Objekt/Patiens
Tilgung des Agens Hinzufügen des Agens
Morpheme, die Antikausativ-Bedeutung haben, können auch andere Bedeutung haben (Reflexiv, Passiv, indefinite Objekttilgung) Morpheme, die Kausativ-Bedeutung haben, haben diese als einzige oder in der Hauptfunktion
teilweise nicht produktiv (Ausnahme Deutsch), weil intransitiv produktiv, weil transitiv
nicht so häufig im Vorkommen wie Kausativ häufiger in den Sprachen der Welt als Antikausativ

Antikausativ vs. Reflexiv

Dass sowohl Antikausativ als auch Reflexiv in einem Morpherm markiert sind, ist typisch für slawische, romanische und germanische Sprachen.

DUT

verdiepen/zich verdiepen (zich) beschrijven
„vertiefen/sich vertiefen“ „(sich) beschreiben“


Im Usbekischen erfolgt die Markierung durch ein Stammaffix:


UZBE

jaxšila-moq/jaxšila-n-moq kij-moq/kij-in-moq
„verbessern(tr.)/verbessern(intr.)“ “kleiden/(sich) kleiden”


Der Unterschied zwischen Reflexiv und Antikausativ liegt im Agens-Gehalt des Subjekts. Eine Zwischenstufe nennt Haspelmath (1984) Endoreflexive.


Beispiel Reflexiv:


RUSS

umyvat’sja
„(sich) waschen“


Beispiel Endoreflexiv:


GERM sich bewegen/sich anlehnen Die Spieler verteilen sich über das Feld.


Beispiel Antikausativ:


GERM Die Radioaktivität verteilt sich über Europa.

Antikausativ vs. Passiv

Gemeinsamkeiten zwischen Passiv und Antikausativ sind, dass Passiv auch intransitiv ist und dass das Patiens zum Subjekt wird. Aber im Gegensatz zum Antikausativ ist Passiv meistens markiert. Das Agens ist beim Passiv nicht in der Subjekt-Position, kann aber in einer Phrase ausgedrückt werden (Die Tür wird (von Peter) geschlossen.). Die Existenz des Agens wird immer impliziert, was beim Antikausativ nicht der Fall ist (Die Tür ist geöffnet.) Hier wird das Agens komplett getilgt, nicht nur syntaktisch, auch semantisch. Die semantische Unterscheidung ist demnach ausschlaggebend für Passiv oder Antikausativ. In manchen Sprachen unterscheidet sich auch das so genannte potentielle Passiv (Haspelmath 1984) vom gängigen Passiv:


GERM Dieses Buch verkauft sich nicht gut.


HAUS

Ruwan nan ba zai shaw -u ba.
water this NEG FUT drink -PASS NEG

“Dieses Wasser ist nicht trinkbar.”


Das Agens ist trotzdem implizierbar, wenn auch nicht an der syntaktischen Oberfläche.


Im Russischen können sich Reflexiv, Passiv und Antikausativ dasselbe Morphem teilen:


RUSS

stroit’sja umyvat’sja
„gebaut sein” „(sich) waschen“


Ein Morphem, dass Reflexiv und Passiv, aber nicht Antikausativ ist, gibt es in den Sprachen der Welt nicht, weil es keine direkte Beziehung zwischen Reflexiv und Passiv gibt, aber zwischen Reflexiv und Antikausativ sowie zwischen Passiv und Antikausativ

Antikausativ vs. Resultativ

Antikausative können sowohl statische (auf den Zustand bezogene) als auch resultative Bedeutung haben:


SWAH

nyumba i -me -harib -ika.
house(CL9) CL9 -PERF -destroy -ANTIC

“Das Haus ist zerstört.”

Literatur

  • Haspelmath, Martin: Transitivity alternations of the anticausative type. (Arbeitspapiere Nr. 5, Neue Folge.) Köln: Institut für Sprachwissenschaft der Universität zu Köln. 1987.
  • Haspelmath, Martin: More on the typology of inchoative/causative verb alternations. 1993. In: Comrie, Bernard & Polinsky, Maria (eds.): Causatives and transitivity. (Studies in Language Companion Series, 23.) Amsterdam: Benjamins. (S. 87-120.)
  • http://www.uni-erfurt.de/sprachwissenschaft (Stand: 20.04.06)

weiterführende Literatur:

  • Babby, Leonard H.: The relation between causative and voice: Russian vs. Turkish. Wiener Slawistischer Almanach 11. (S. 61-88.)
  • Nedjalkov, Vladimir P.: Nekotorye verojatnostnye universalii v glagol’nom slovoobrazovanii. 1969. I.F. Vardul’ (ed.) Jazykovye universalii I linguističeskaja tipologija. Moskva: Nauka. (S. 106-114.)
  • Nedjalkov, Vladimir P., Sil’nickij: Tipologija morfologičeskogo i leksičeskogo kauzativov. Xolodovič (ed.). 1969. (S. 20-50)

Synonyme

Dekausativ

Andere Sprachen