Genus (de)

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Das Genus – auch grammatisches Geschlecht genannt - stellt eine linguistische Kategorie zur nominalen Klassenbildung dar[1]. Etymologisch lässt es sich vom lateinischen genus ableiten und bedeutet demnach Geschlecht, Art, Klasse[2].

Merkmale

Als entscheidendes Kriterium gilt die Kongruenz des entsprechenden Nomens mit anderen davon abhängigen Lexemen[3]. Corbett[3] äußert diesbezüglich, dass Evidenz für das Genus auch außerhalb des Nomens vorliegen muss bevor von einem Genussystem gesprochen werden kann. Auch Bußmann referiert über die Notwendigkeit einer morphologischen Markierung zwischen dem Nomen und anderen syntaktischen Strukturen, welche überwiegend aus Nominal- und oder Verbalphrasen bestünden[2]. Nübling[4] postuliert: „Genus manifestiert sich also zwingend (auch) jenseits des genushaltigen Wortes.“ Damit gilt das Kongruenzverhalten von Genusstrukturen als essentielles Kriterium.

Terminologie

Problematisch am Begriff 'Genus' ist, dass er von unterschiedlichen Autoren je nach theoretischer Schule und Tradition variabel verwendet wird. Diesem Umstand ist es geschuldet, dass die Abgrenzung und Definition von 'Genus', und 'Nominalklassifikation' nicht immer eindeutig sein kann[5]. Aikhenvald vermittelt einen kurzen historischen Überblick über die Verwendung des Begriffs 'Genus' um diese Situation zu erläutern[6]. Demnach geht die Verwendung dieser Benennung auf das fünfte Jahrhundert und den griechischen Philosophen Protagoras zurück und wurde auf indoeuropäische Sprachen wie Französisch, Italienisch und Deutsch übertragen. Auch Latein hat ein sehr ähnliches System, weshalb sich auch hier diese Bezeichnung durchsetzen konnte. Nomen wurden demnach in maskuline (männliche), feminine (weibliche) und unbelebte eingeteilt. Der Begriff 'unbelebt' wird heute hingegen zugunsten von 'neutrum' (sächlich) nicht mehr verwendet. Als jedoch die ersten Europäer die afrikanischen Bantusprachen linguistisch untersuchten, stellten sie fest, dass die übliche Einteilung in Maskulinum, Femininum und Neutrum nicht ausreichend ist um auf das Nominalsystem der Bantusprachen übertragen zu werden. Daher wurde der Begriff der Nominalklassifikation eingeführt. Aikhenvald[6] verwendet die Terminologie 'Nominalklassifikation' als Oberbegriff für Nominalklassifikation - wie man sie unter anderem in Bantusprachen wie das Nyakyusa[7] finden kann - und Genus. Sie unterscheidet beide Systeme anhand ihrer quantitativen Differenzierung: Genus ist ein System, das zur Kongruenzunterscheidung zwei oder drei Parameter verwendet - wie zum Beispiel Femininum, Maskulinum und Neutrum. Eine Klassifikation anhand weiterer Parameter wie Belebtheit, Form oder hergestellte Erzeugnisse wie Werkzeuge sei demnach kein Genus sondern eine Nominalklassifikation. Corbett und Kibort hingegen postulieren, dass 'Genus' als Oberbegriff für von Nomen abhängiges Kongruenzverhalten verwendet werden solle[8]. Dies bedeutet auch, dass – anders als bei Aikhenvald- nicht die Quantität von Differenzierungsparametern eine Rolle spiele, sondern die qualitative Untersuchung der Genuszuweisung[9].

Genuszuweisung nach Corbett

Corbett stellt bezüglich der Genuszuweisung zwei verschiedene Möglichkeiten vor, nach denen es möglich ist Nomina entsprechend ihres grammatischen Geschlechts zu markieren. Dies ist zum Einen die Zuweisung auf Grundlage semantischer Parameter ('semantic assignment') sowie zum Anderen eine Zuordnung basierend auf semantischen und formalen Eigenschaften ('semantic and formal assignment')[10]. Es bleibt jedoch zu beachten, dass es auch unterschiedliche Ausprägungsformen in der erst genannten semantischen Zuweisung gibt. Corbett referiert über die strikten und der überwiegenden semantische Zuweisung - 'strict semantic assignment systems' und 'predominantly semantic assignment systems'. Strikt semantisch erfolgt die Genuszuweisung in einigen Sprachen, in denen die Bedeutung eines Nomens das Genus festlegt. Dies lässt sich an der sexusbasierten Genuszuweisung in dravidischen Sprachen wie das Kannada (Südindien) erläutern. Nomina, die auf Männer verweisen werden maskulin (z.B. appa für Vater), wo hingegen Frauen feminin (amma für Mutter) markiert werden. Auch Götter, Dämonen und Gestirne (candra für Mond) werden maskulin oder feminin markiert. Alle übrigen Nomina –inklusive Kindern und Tieren- werden mit dem Neutrum versehen (na:yi für Hund)[10]. In der überwiegenden semantisch motivierten Zuweisung erkennt man weiterhin einen semantischen Kern, wobei die Zuteilung als solche um einiges weniger transparent und sehr viel komplexer ist als die strikt semantische. So kann es unter anderem passieren, dass die gleiche semantische Klasse in unterschiedliche Genera subsummiert wird. Im Bininj Gun-Wok (gesprochen im nördlichen Australien) werden beispielsweise niedere Tiere wie Reptilien, Vögel und Fische aufgeteilt in die feminine und maskuline Klasse. Die spezifische Zuweisung, ob ein Vogel als feminin oder maskulin gilt, konnte noch nicht im Einzelnen linguistisch erschlossen werden . Als weitere Möglichkeit Genera zu zuweisen nennt Corbett[10] die formal motivierte, die sich auf Grundlage von Morphologie und Phonologie begründet. Corbett betont, dass es zwar Sprachen gebe, die ausschließlich semantisch basierend Genera zuweisen, jedoch noch keine Sprache typologisch erfasst werden konnte, die sich ausschließend auf phonetischen und morphologischen Parametern basierend agiert. Bisher ist lediglich von einer Kombination aus semantischen und formalen Genera-Merkmalen auszugehen. Als Beispiel sei an dieser Stelle das Russische aufgeführt, welches semantische und morphologische Kriterien nutzt. Das Russische nutzt -wie viele indoeuropäische Sprachen auch- einen semantischen Kern, der sich auf die Sexus-Einteilung beruft. Da sich jedoch nicht alle Lexeme auf ein natürliches Geschlecht beziehen, werden weitere Aspekte genutzt. Corbett und Kibort[8] sprechen diesbezüglich von 'semantischen Residuen'. Anders als vielleicht vermutet wird diesen semantischen Residuen nicht automatisch das Genus Neutrum zugewiesen. Lexeme, die nicht sexusbasiert einem Genus zugeordnet werden können, erhalten auf Grundlage ihrer morphologischen Struktur und abhängig von ihrer Flexionsklasse ein Genus, welches mit Neutrum, Femininum oder Maskulinum markiert sein kann. Corbett und Kibort[8] verweisen darauf, dass in vielen Fällen das semantische und morphologische Kriterium übereinstimmend wirken, es jedoch durchaus auch zu Abweichungen kommen kann. Bei Abweichungen dieser Art steht der semantischen Zuordnung eine dominantere Rolle zu. Tabellen 1 und 2[10] geben einen Einblick in die russische Genuszuweisung. Anhand dieser wird deutlich, dass die Zugehörigkeit zu einem semantischen Feld nicht ein alleiniges Merkmal zur Genuszuweisung darstellt, sondern die morphologischen Struktur und die Flexionsklasse (in Tabelle 2 wird lediglich Singular dargestellt) entscheidende Kriterien sind.

Tabelle 1:

Russische Nomina zugehörig zum semantischen Residuum (Corbett 2013b)

Tabelle 2:

Russische Flexionsklassen (Corbett 2013b)

masculine feminine neuter
žurnal ‘magazine’ gazeta ‘newspaper’ pis´mo ‘letter’
stul ‘chair’ taburetka ‘stool’ kreslo ‘armchair’
dom ‘house’ izba ‘hut’ zdanie ‘building’
čaj ‘tea’ voda ‘water’ vino ‘wine’
ogon´ ‘fire’ peč´ ‘stove’ plamja ‘flame’
dub ‘oak’ bereza ‘birch’ derevo ‘tree’
avtomobil´ ‘car’ mašina ‘car’ taksi ‘taxi’
flag ‘flag’ èmblema ‘emblem’ znamja ‘banner’
glaz ‘eye’ ščeka ‘cheek’ uxo ‘ear’
lokot´ ‘elbow’ lodyška ‘ankle’ koleno ‘knee’
nerv ‘nerve’ kost´ ‘bone’ serdce ‘heart’
večer ‘evening’ noč´ ‘night’ utro ‘morning’
čas ‘hour’ minuta ‘minute’ vremja ‘time’
I II III IV
Nominative žurnal gazeta kost´ pis´mo
Accusative žurnal gazetu kost´ pis´mo
Dative žurnalu gazete kosti pis´mu
Instrumental žurnalom gazetoj kost´ju pis´mom
Locative žurnale gazete kosti pis´me
gloss 'magazine' 'newspaper' 'bone' 'letter'

Neben dem Russischen stellt auch das Deutsche eine Kombination aus formalen und semantischen Zuordnungskriterien dar. Anders als vielfach vermutet ist eine sexusunabhängige Genuszuweisung nicht vollständig arbiträr, sondern kann auf taxonomische, morphologische sowie phonologische Prinzipien zurückgeführt werden[11]. Als phonologische genusbestimmende Struktur im Deutschen beispielsweise kann festgestellt werden, dass monosyllabische Nomina, die initial ein /kn-/ aufweisen, überwiegend maskulin markiert werden (der Knopf, der Knast, der Knauf; Ausnahme: das Knie). Taxonomisch richtet sich die Genuszuweisung nach den zugrundeliegenden Strukturen: Oberbegriffe werden meist mit dem Neutrum markiert (das Tier, das Obst, das Möbel). Basisbegriffe verteilen sich auf alle Genera, wobei Maskulinum und Femininum in etwa gleich häufig verwendet werden, Neutrum hingegen etwas weniger (der Hund, die Schlange). Die Unterbegriffe ihrerseits orientieren sich an dem jeweiligen Basisbegriff. Beim Basisbegriff 'Hund', der maskulin markiert wird, werden demnach auch die Unterbegriffe als solche dargestellt: "der Weimaraner", "der Dackel", "der Terrier". Ist der Basisbegriff feminin wie bei 'Schlange', werden auch die Unterbegriffe dementsprechend feminin: "die Boa", "die Mamba", "die Natter". Auch morphologisch gelten Genusregeln, die eine arbiträre Zuordnung negieren. So gilt unter anderem das Letztgliedprinzip bei dem in mehrmorphematischen Nomina der Kopf genusbestimmend wirkt: Nomina mit "–ung", "-heit", "-keit" sind feminin ("die Zeitung", "die Schönheit", "die Zweisamkeit"), wohingegen Nomina, die auf "-ling" enden maskulin sind ("der Frühling", "der Sprössling")[12]. Anders als im Russischen[8] gibt es im Deutschen eine Ausnahme, in der nicht die semantische, sondern die formal-morphologische Zuweisung die dominante Rolle einnimmt. So müsste das Nomina 'Mädchen' rein semantisch aufgrund seines Sexus als feminin gelten, wird jedoch auf Grundlage der Diminutivendung "–chen" zum Neutrum. In diesem Fall beherrscht das formale Kriterien des Letztgliedprinzips über die semantische Zuweisung.

Genus in den Sprachen der Welt

Anhand der Beschreibungen des Russischen und des Deutschen konnten bereits erste Eindrücke von der Vielfalt des Genus' erhalten werden. Im World Atlas of Language Structures[13] werden diese Erkenntnisse vertieft. Corbett weist in diesem darauf hin, dass in mehr als die Hälfte der bislang hinsichtlich des Genus' dokumentierten Sprachen (ca. 260) keine Genusstruktur auszumachen ist (ca. 150). In den bislang linguistisch erforschten Sprachen haben 50 Sprachen ein zweigeteiltes Genussystem, wohingegen nur etwa ca. 60 mindestens drei verschiedene Genera aufweisen . Geographisch lässt sich feststellen, dass ein System mit einer Vielzahl von Genera in den Niger-Kongosprachen, also in Afrika zu finden ist. Europa hingegen hat mit den indoeuropäischen Sprachen eine Präferenz für ein dreigeteiltes Genus. Die Abwesenheit von Genus ist bislang vor allem für die austronesischen Sprachen im Pazifik bekannt[13].

Verweise

  1. Bußmann 2008:227; Aikhenvald 2000; Kibort & Corbett 2008
  2. 2.0 2.1 Bußmann 2008:227
  3. 3.0 3.1 Corbett 2013a
  4. Nübling 2008:289
  5. Aikhenvald 2000:8
  6. 6.0 6.1 Aikhenvald 2000:19
  7. Lusekelo 2009:312
  8. 8.0 8.1 8.2 8.3 Kibort & Corbett 2008
  9. Kibort & Corbett 2008, Corbett 2013b
  10. 10.0 10.1 10.2 10.3 Corbett 2013b
  11. Zubin & Köpcke 1986; Köpcke & Zubin 2009
  12. Köpcke & Zubin 2009
  13. 13.0 13.1 Corbett 2013c

Literaturverzeichnis

  • Aikhenvald, A. Y. 2000. Classifiers: a Typology of Noun Categorization Devices. Oxford: Oxford University Press.
  • Bußmann, H. 2008. Lexikon der Sprachwissenschaft. Stuttgart: Kröner.
  • Corbett, G. G. 2013a. Number of Genders. In: Dryer, M. S. & Haspelmath, M.(eds.) The World Atlas of Language Structures Online. Leipzig: Max Planck Institute for Evolutionary Anthropology. (Available online at http://wals.info/chapter/30, Accessed on 2014-08-07.)
  • Corbett, G.G. 2013b. Systems of Gender Assignment. In: Dryer, M. S. & Haspelmath, M. (eds.) The World Atlas of Language Structures Online. Leipzig: Max Planck Institute for Evolutionary Anthropology. (Available online at http://wals.info/chapter/32, Accessed on 2014-08-07.)
  • Corbett, G. G. 2013c. Number of Genders. In: Dryer, M. S. & Haspelmath, M. (eds.) The World Atlas of Language Structures Online. Leipzig: Max Planck Institute for Evolutionary Anthropology. (Available online at http://wals.info/chapter/30, Accessed on 2014-08-20.)
  • Kibort, A. & G. G. Corbett. Gender. Grammatical Features. 7 January 2008.
  • Köpcke, K.-M. & Zubin, D.(2009): Genus. In: Hentschel, E. & Vogel, P. (Hrsg.): Deutsche Morphologie. Berlin: de Gruyter, 132‒154.
  • Lusekelo, A. 2009. The Structure of the Nyakyusa Noun Phrase. Nordic Journal of African Studies 18 (4). 305-331.
  • Nübling, D. 2008. Was tun Flexionsklassen? Deklinationsklassen und ihr Wandel im Deutschen und seinen Dialekten. Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik. LXXV. Jahrgang, Heft 3. Stuttgart: Franz Steiner Verlag.
  • Zubin, D. & Köpcke, K.-M. 1986. Gender and folk taxonomy: The indexical relation between grammatical and lexical categorization. Noun classes and categorization. 139-180.